Bei uns im sonnigen Süden Österreichs lebt ein
seltsames Völkchen, das an seltsamen Bräuchen festhält. Hat man Kinder und lebt
gemeinsam mit diesen in einem Dorf, um dessen Dorfplatz sich mindestens eine
Kirche, ein Gasthaus und eine Schule reihen, erlebt man alle Traditionen hautnah
mit. Ob man will oder nicht.
So auch bei uns.
Ende August lädt unsere Dorfgemeinschaft zum
Maibaumumschneiden ein. Im Kleingedruckten wird das gleichzeitige
Woazstriezlbrotn* angepriesen. Unsere Jungs kennen dieses Wort nicht, hören nur
„Baum“ und „Umschneiden“ und wollen die Action mit der Motorsäge nicht
verpassen.
* Fragen
Sie in unserem Landstrich NIE jemanden, was hinter diesem Wort steckt. Sie
ernten einen Blick, als hätten Sie gefragt, was die Wörter „Sonne, Himmel, Baum
oder Vogel“ bedeuten. Wie können Sie nur so dumm sein? Wo kommen Sie denn her?
Ich
helfe Ihnen aber gerne ein wenig: Woaz = Mais, Striezl = Kolben, brotn = braten
Der Himmel ist wolkenverhangen, die
Temperaturen herbstlich. Sprühregen setzt ein, als wir das Festgelände
erreichen. Wir bereiten unsere Jungs auf eine mögliche Absage des Festes vor.
Irrtum. An zahlreichen Biertischen sitzen die Dorfbewohner. Sie sind
wetterfest. Ein paar Regentropfen im Bierglas haben noch niemanden geschadet.
Der Maibaum erhebt sich hoch über dem
Kirchturm.
Unter dem Kastanienbaum am Dorfplatz befindet
sich eine Feuerstelle mit lodernden Flammen. Glücklicherweise regnet es, so
können sich die nassen Äste des Baumes schwer entzünden. Die Musikanten nehmen Aufstellung, legen die mitgebrachten Instrumente erst einmal zur Seite und halten sich stattdessen an Bierkrügen und klugen Reden fest.
Der Maibaum steht regungslos im Regen.
Die Flammen der Feuerstelle weichen der Glut und
mutige Männer aus dem Dorf spießen Woazstriezl mit bloßen Händen auf
ausgediente Schistöcke. Wer dabei ohne Verletzung davonkommt, erntet die
Bewunderung der Frauen. Die Stöcke mit den aufgespießten Striezln werden den
Kindern in die Hände gedrückt. Diese setzen sich dicht ans Feuer. Zugezogene
Helikopter-Eltern ziehen ihren Kindern leicht entflammbare Kleidung aus,
Einheimische unterhalten sich derweil über die neuen Errungenschaften der
Feuerwehr.
Der Maibaum steht in all seiner Pracht
daneben.
Die Kinder sitzen mit glühenden Köpfen vor dem
Feuer, atmen Rauch ein, während sie in die Flammen starren und drehen mit wirrem
Blick ihre Spieße über den Holzscheiten. Die Frauen und Männer führen Gespräche
über die Ernte in diesem und den letzten fünfzig Jahren. Irgendwann fällt
jemanden auf, dass der Maibaum noch immer steht. Dieser wird nach
ungeschriebenem Gesetz jedoch erst gefällt, wenn 1. der Bürgermeister anwesend
ist, 2. die Hälfte des Biervorrates verkauft wurde und 3. der Dorfarzt sich
mit seiner Motorsäge am Festgelände einfindet.
Der Maibaum steht also noch.
Die ersten Woazstriezl erhalten ihre
goldbrauen Farbe, werden aus dem Feuer genommen und nach striktem Ritual für
den Verzehr vorbereitet. Jeder darf seinen Striezl in einem bereitgestellten
Stück Butter wälzen und anschließend salzen. Wehe dem, der sich nicht an die
Reihenfolge hält.
Der Maibaum steht aber noch.
Die Musikanten lassen Tuba, Klarinette,
Bassgeige, Harmonika und Trompete erst einmal am Boden ruhen und erzählen Witze
aus der untersten Schublade. Zugezogene Helikopter-Eltern versuchen, ihre Kinder
von den schmutzigen Worten abzulenken, indem sie mit ihnen die einwandfreie
Aussprache des Wortes „Woazstriezlbrotn“ üben.
Der Maibaum steht geduldig daneben.
Die Biervorräte werden weniger, der
Bürgermeister trifft ein, isst höflich seine ihm zustehende Bratwurst und hält
Zwiesprache mit den Musikanten.
Der Maibaum wird nicht angerührt.
Endlich trifft der Dorfarzt ein. Den Blick
prüfend nach oben gerichtet steht er am Fuße des Maibaumes. Er befindet sich in
Erinnerung schwelgend, war er es doch, der im Frühjahr mit chirurgischer Präzision
die kunstvollen Schnitzereien am Baum angebracht hatte
Dieses Foto wurde im Frühling beim Aufstellen des Maibaumes gemacht. Das ist aber eine andere Geschichte. |
und die Anweisungen zum
Aufstellen des Maibaumes an die Dorfbevölkerung verteilt hatte. Er trägt Arbeitskleidung, seine
Motorsäge hat er nicht dabei.
Der Maibaum steht also noch.
Väter, die genug Bier getrunken haben, Mütter,
die zu wenig Winterkleidung mitgebracht haben und Kinder, die vom Rauch und dem
starren Blick ins Feuer noch immer ganz benommen sind, verlassen nun das
Festgelände und werfen beim Gehen einen zaghaften Blick zurück.
Der Maibaum steht noch.
Liebe
Leser,
gerne
hätte ich Ihnen die Tradition des Maibaumumschneides in unserem Landstrich
näher gebracht. Leider mussten wir aber nach zwei Stunden aus oben genannten
Gründen das Festgelände verlassen. Der Baum stand immer noch.
Ich kann
Ihnen auch nicht sagen, ob er mittlerweile gefällt wurde, denn ich habe die
Feststätte seither nicht betreten. Ich vermute aber, dass der eigentliche Grund
der Zusammenkunft ohnehin nicht das Fällen des Maibaumes war. Das wurde mir
aber erst im Nachhinein klar.
Ob es
eine weitere Folge aus der Reihe „Brauchtum in Österreich“ geben wird, ist
ungewiss. Ich muss für die nächste Veranstaltung erst Ohropax für meine Kinder
auftreiben, um sie von den eigentümlichen Witzen der Musikanten zu bewahren.
0 Kommentare:
Kommentar posten