Am Tag der Geburt. Später Nachmittag.
Ich liege im Krankenzimmer und halte noch immer die ersten Fotos meiner Kinder in den Händen. Ich habe sie von der Hebamme bekommen, wie alle Mütter von Frühchen in meinem Krankenhaus. Etwas zum Festhalten. Mein Mann ist bei unseren Kindern auf der Intensivstation. Diese ist in einem anderen Gebäude, ungefähr zehn Minuten Fußmarsch von der Gebärstation entfernt. Die Folgen der Sectio fesseln mich ans Bett. Gehen kann ich nicht, nicht einmal aufstehen. Ich muss liegen bleiben und abwarten.
Das Krankenhauspersonal umsorgt mich
fürsorglich. Ich liege in einem Einzelzimmer und muss keine Babys sehen, die in
den Armen ihrer Mütter liegen. Meine Kinder sind stabil, mehr Informationen gibt es vorerst nicht. Für mich heißt es, sie leben. Im Moment ist das alles, was
zählt. Ich schreibe eine Geburtsanzeige per Email an Familie und Freunde und versuche,
so positiv wie möglich zu formulieren. Als Antwort erhalte ich tröstende und
Mut machende Worte.
Mein Mann kommt von der Neonatologie Intensivstation zurück. Auf der Kamera bringt er Bilder von unseren Kindern mit.
Mein Erstgeborener liegt eingebettet in einem
Nestchen aus gerollten Handtüchern und Stoffwindeln in einem Inkubator. Die Augen hält er fest
verschlossen, der Kopf ist ein wenig asymmetrisch. Er steckte schon viele
Wochen vor der Geburt tief in meinem Becken fest. Auf seiner Brust kleben Elektroden zur Überwachung der Herztöne. Durch seinen Mund führt ein dünner Schlauch in den Magen.
Mein Zweitgeborener liegt ebenfalls im Inkubator. Er hatte Startschwierigkeiten und benötigt eine Atemhilfe.
Mein Mann berichtet von ausführlichen Gesprächen mit dem Arzt, von den medizinischen Maßnahmen, die in den vergangenen Stunden an unseren Kindern vollzogen wurden und von der Prognose, die es nicht gibt. Unsere Kinder sind stabil, wie es weitergehen wird, darauf will sich niemand festlegen.
Mein Mann berichtet von ausführlichen Gesprächen mit dem Arzt, von den medizinischen Maßnahmen, die in den vergangenen Stunden an unseren Kindern vollzogen wurden und von der Prognose, die es nicht gibt. Unsere Kinder sind stabil, wie es weitergehen wird, darauf will sich niemand festlegen.
Zum ersten Mal seit der Geburt mache ich mir
große Sorgen. Ich denke an die Zukunft. Ich denke an das Jetzt. Ich will nicht,
dass meine Kinder alleine sind und schicke meinen Mann wieder zu ihnen in die
Kinderklinik. Für mich folgt die letzte Nacht für eine lange Zeit, in der ich
einige Stunden am Stück schlafen kann.
Am Morgen bekomme ich eine elektrische
Milchpumpe direkt an mein Bett gestellt. Die Stillberaterin erklärt mir die
Funktion und tatsächlich produziere ich ein paar Milliliter Muttermilch für
meine Kinder. Ich fülle die Milch in eine kleine Spritze, gebe sie in eine
Kühltasche und übergebe diese meinem Mann, der sich noch vor dem Frühstück auf
den Weg zu mir ins Krankenhaus gemacht hatte. Mit der Kühlbox in der Hand
verabschiedet er sich in Richtung Kinderklinik.
Ihre ersten Tropfen Muttermilch bekommen meine
Kinder von ihrem Papa. Er verabreicht sie ihnen mit der Spritze. Es ist wohl
ein symbolischer Akt. Unsere Kinder werden mittels Magensonden ernährt.
Ich habe meine Kinder seit der Geburt nicht
mehr gesehen, gerochen, gespürt. Ich habe große Sehnsucht nach ihnen. Ich will
sie noch am Vormittag besuchen. Die Physiotherapeutin erklärt mir, mit welchen
Bewegungen ich am besten aufstehen kann. Ich schaffe es, zwei, drei Schritte zu gehen, mehr
geht beim besten Willen nicht. Die Schmerzen durch die OP sind unerträglich.
Erschöpft lege ich mich wieder ins Bett. Auf Anraten der Therapeutin verschiebe
ich den Besuch auf den Nachmittag.
In der Zwischenzeit pumpe ich Milch ab, halte
mich an den Fotos meiner Kinder fest, informiere mich über die Folgen von
Frühgeburten und übe das Aufstehen.
Am Nachmittag, 24 Stunden nach der Geburt,
setzt mich mein Mann in einen Rollstuhl und fährt gemeinsam mit mir in einem
Krankenwagen in das Gebäude, in dem unsere Söhne untergebracht sind. Auf meinem
Schoß führe ich eine Kühltasche mit wertvoller Muttermilch mit.
Bevor wir die Intensivstation betreten können, befinden wir uns in einem kleinen Raum, in dem wir Hände und Unterarme sorgfältig reinigen und
desinfizieren. Wir ziehen weiße Schutzmäntel über unsere Kleidung und fahren
bzw. gehen in Richtung des Intensivzimmers, in dem unsere Jungs ihr erstes
Zuhause gefunden haben. Zimmer 22.
Mein Mann führt mich in ein geräumiges Zimmer,
an der Wand hängen zwei Monitore. Gegenüber steht ein großer Schreibtisch mit
einem Computer, davor sitzt die diensthabende Krankenschwester, die die Pflegedaten unserer Kinder in den Computer einträgt. Ich blicke auf
die beiden Inkubatoren, in denen unsere Jungs liegen.
Es geht wohl den meisten Müttern so, dass sie jenen
Augenblick, an welchem sie ihr Kind das erste Mal sehen, für immer
im Gedächtnis behalten. Mir geht es genauso. Die Geburt hat sich eingebrannt in
mein Herz, in meine Seele, in meine Gedanken. Und dann gibt es für mich noch
diese Minuten, in denen ich meine Kinder das zweite Mal sehe. Auch diese
Minuten brennen sich ein in mein Herz, meine Seele, meine Gedanken.
Wie ein Vögelchen, das aus dem Nest gefallen
ist, liegt mein erstgeborenes Söhnchen regungslos im Inkubator. Ich sehe sein eingefallenes Gesichtchen,
sehe die Magensonde, ich sehe eine Leitung in seinem Handrücken, Elektroden auf
seiner Brust, eine Sonde zur Messung der Sauerstoffsättigung auf seinem
Füßchen. Die kleine Windel ist viel zu groß. Händchen, Beinchen, Ärmchen. Alles
ist so winzig. Und doch vollkommen.
Ich kämpfe an gegen die Tränen, die über meine
Wangen rollen und desinfiziere meine Hände. Die Krankenschwester zeigt mir, wie
ich die Tür des Inkubators öffnen kann und ich lege meine Hand auf die Brust meines Sohnes. Ich soll meine Hand nicht bewegen, soll sie einfach nur liegen lassen.
Initialberührung wird das im Fachjargon genannt. Am Fußende des Inkubators
stehen neben dem Namen meines Kindes die Zahlen „32+4“ und „erster Zwilling“.
Eine Weile sitze ich da, die Hand auf der Brust meines Sohnes, während die Hand
meines Mannes auf meiner Schulter ruht.
Mein Zweitgeborener wiegt fast 300 g mehr. Das sieht man ihm deutlich an. Sein Gesichtchen ist rundlicher, an Armen und Beinen hat er nicht nur Hautfalten. Die Atemmaske braucht er nicht mehr. Sein Anblick beruhigt mich.
Mein Zweitgeborener wiegt fast 300 g mehr. Das sieht man ihm deutlich an. Sein Gesichtchen ist rundlicher, an Armen und Beinen hat er nicht nur Hautfalten. Die Atemmaske braucht er nicht mehr. Sein Anblick beruhigt mich.
Meinem Sohn geht es den Umständen entsprechend gut. Ich darf ihn für ein paar Minuten in meinen Armen halten. Die Krankenschwester öffnet die Seitenklappe des Inkubators, hüllt ihn in dicke Decken und übergibt ihn mir. Aus der Decke ragen die Kabel der Elektroden, durch die dieses kleine Bündel Mensch mit dem Überwachungsmonitor verbunden ist.
Leise summe ich ein Lied vor mich hin und habe wieder das Gefühl, dass alles gut wird.
Hallo!!
AntwortenLöschenEinfach nur rührend... Ich fühle alles mit beim Lesen und bin sehr gerührt, dabei habe ich noch gar nicht alles gelesen...
Respekt vor Deiner Stärke!
Liebe Grüße aus dem Norden
Danke für deinen lieben Kommentar.
LöschenIn Krisensituationen zeigen sich oft ungeahnte Kräfte.
Ich kann das alles sehr gut nachempfinden. Mein Zwillingspärchen musste in SW 31+2 geholt werden. Es dauerte insgesamt 40 Tage, bis ich sie mit nach Hause nehmen durfte. Mittlerweile sind sie 8 Monate alt, gesund und absolute Sonnenscheine. Ich kann mich auch nur bei den Ärzten und Schwestern der ITS und der Kinderstation bedanken.
AntwortenLöschenSchön zu lesen, dass Ihre Kinder gesund sind und auch Sie gute Erfahrungen im Krankenhaus gemacht haben. Ich freue mich mit Ihnen.
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